Einführungsrede zur Kuhna-Ausstellung
„Inspiration of Colours“ bei Fifty-Fifty, Düsseldorf, 30.9.2011

Als ich kürzlich ein Bild von Kenneth Noland, eines amerikanischen Farbfeldmalers, betrachtete, sprach ich davon, dass mich das Bild allein und ausschließlich wegen der FARBE interessiere. Auf der 2 x 3 m großen rohen, ungrundierten Leinwand befindet sich ein durch die Farbe gebildetes Dreieck, das mit der Spitze nach unten weist. Das Bild besteht lediglich aus zwei Blautönen, einem Streifen Rot dazwischen und einem kleinen Grün.
Eine ältere Dame, die ich nicht kannte, sprach mich darauf an, ob mich das Bild nicht doch an eine Sanduhr erinnere. Ich verneinte und wiederholte noch einmal, dass mich am Bild nur die Farbe ansprechen würde. Am selben Abend überlegte ich, was diese Frau mit der Sanduhr gemeint haben könnte und da wurde mir klar, dass sie nur die gemalte FORM gesehen hatte. Die FARBE, die ich in den Vordergrund stellte, hatte sie nicht in der Weise wahrgenommen, wie ich das tat. Mir wurde bewusst, dass viele Menschen die Farbe gedanklich mit einem Gegenstand verbinden. Sie sehen die Farbe nicht losgelöst vom Gegenstand. Wir sehen den blauen Himmel, die grüne Wiese, den roten Apfel, die gelbe Banane. Es bedarf schon einer geistigen Anstrengung, dieFarbe losgelöst vom Gegenstand wahrzunehmen: nur das BLAU des Himmels, das ROT eines Apfels oder das GRÜN einer Wiese. Das ist ein Abstraktionsvorgang.

Die Farbe, so sagen es die Philosophen seit Aristoteles, sei ein Akzidenz, eine Eigenschaft des Gegenstandes. Ein Akzidenz ist etwas Hinzukommendes, etwas Nebensächliches, etwas Zufälliges. Es ist nicht das Essentielle, nicht das Wesentliche, nicht die Substanz. So sehen es die Philosophen. Für die Kunst, für die Malerei, gilt das nicht.

Farbe ist das wesentliche Instrument der Malerei und erst im letzten Jahrhundert hat sich die Farbe von der Form emanzipiert und ist in der gegenstandslosen Kunst alleiniger Bildgegenstand geworden. Und wenn wir bei der Farbe BLAU sind, dann können wir Tausende von Farbnuancen erkennen, für die wir kein WORT, keine sprachliche Entsprechung haben. Es soll 7,5 Millionen Farbnuancen geben, oder Farbreize, die das menschliche Auge zu unterscheiden vermag. Dem stehen nur eine Handvoll Farbbezeichnungen gegenüber, die sich meist von den Materialien herleiten, die diese Farben verkörpern, wie Rosenrot, Kobaltblau oder Schneeweiß. Darum ist das Sprechen über die Farbe so schwierig. Aber bleiben wir beim BLAU. Das Blau ist von Hause aus eine kalte Farbe, mit Weiß gemischt, kann es eisig wirken. Wenn das Blau mit ROT gemischt ist, dann kann das Blau eine warme Tönung bekommen. Diese emotionale Wirkung, die die Farbe auslöst, hängt damit zusammen, dass die Farbe ein Sinneseindruck ist. Die Farbe kann einen Fanfarenklang annehmen, sie kann uns anrühren, erheben, aber auch bedrücken, wenn sie dunkel oder aschgrau ist.

Die Wahrnehmung von Farben wird durch die Umgebung beeinflusst, in der sie eingebunden sind. Durch die daneben stehende Farbe kann die Kalt- oder Warmwirkung ins Gegenteil umkippen. Man spricht vom Simultankontrast. Josef Albers hat sich ein Leben lang damit beschäftigt und ein wichtiges Buch darüber geschrieben: The Interaction of Colour.

Eine Farbe allein, ist nicht viel. Das ist wie in der Musik ein einzelner Ton. Erst das Zusammenspiel mehrerer Farben, ergibt - wie in der Musik - einen KLANG. Und erst der Zusammenklang der Farben – das ist ähnlich wie in einem Konzert, bei dem die Klangfülle durch die verschiedenen Klangfarben der Instrumente gebildet wird – schafft einen einmaligen Resonanzraum, genauer: einen Farbraum, weil die Farben auch eine räumliche Wirkung besitzen. Die Farben bringen das Bild zum Klingen. Sie erzeugen eine einmalige, kaum beschreibbare Atmosphäre, wie sie nur die Malerei vermittelt, wenn sie denn Kunst ist.

Die Zusammenstellung von mehreren Farben ist eine höchst subtile Angelegenheit und eine der schwierigsten Aufgaben, die es in der Kunst zu bewältigen gibt, um die Farben zum Leuchten zu bringen. Letztendlich ist die Farbkomposition davon abhängig, was der Künstler ausdrücken will.

Auf den Kuhna-Bildern sehen wir zunächst nur einen FARBSCHWALL. Die Farbe allein ist für ihn wichtig. Die Form tritt zurück. Denn je stärker eine Form ausgebildet ist, umso weniger nimmt man die Farbe wahr. Oder umgekehrt: die Farben treten intensiver in Erscheinung, wenn sich die Formen zurückhalten. Die Reduzierung der Formen kann auch durch die gleiche Helligkeit unterschiedlicher Farben erreicht werden.

Wesentlich ist nun, wie der Künstler Kuhna die Farben auf der Leinwand organisiert. Auf den ersten Blick sehen die Bilder einfach aus. Es scheint, als wäre Bildpunkt an Bildpunkt gereiht. Das ist nicht der Fall. Sie sind strukturiert. Das heißt, dass die Farben nach einem bestimmten Formprinzip, nach einer bestimmten Methode, die von Bild zu Bild wechselt, aufgetragen sind. Denken sie an das Fell eines Leoparden. Die Musterung, die Verteilung der schwarzen Flecken auf dem Tierfell folgt einer inneren Ordnung. Die Flecken sind nicht chaotisch angeordnet. Sie sind strukturiert. Nach einer solchen organischen Strukturierung baut auch Kuhna seine Bilder auf. In Kuhnas Bildern bringt diese Strukturierung der Farben die Bildfläche zum Schwingen. Da spürt man den Rhythmus, die Vibration, das Pulsieren der Bildfläche. Der Farbverlauf, der durch die gleiche Helligkeit der unterschiedlichen Farben nur schwach in Erscheinung tritt, läßt eine große Form mehr ahnen, als dass sie sich definitiv nach vorne drängt.

Schließlich ist für einen intellektuellen Zugang zu dieser puren Malerei noch der Titel des jeweiligen Bildes wichtig. Er ist nicht ausschlaggebend, aber er bildet eine Brücke zum besseren Verständnis des Bildes und dieser Malerei.

Wenn ein Bild den Titel „Wild and young“ trägt, dann können Sie davon ausgehen, dass keine müden, traurigen Farben vermalt wurden, sondern dass die Farben frisch und hell sind und die Farbformen, die sich allein durch die Setzung der Farben ergeben, beweglich und lebendig sind. Der Titel vermittelt einem also einen bestimmten Zugang zu dem, was der Künstler aussagen will. Es geht nicht um ein reines Farb- und Formspiel. Die aktuelle Kunst beschäftigt sich mit unserer Welt und auch die gegenstandslose Kunst kann Sachverhalte ansprechen und ausdrücken, die damit nachdrücklich in unser Bewusstsein gelangen.

In dieser Ausstellung hängt das Bild „Sigiriya“. Wer schon einmal auf Ceylon, dem heutigen Sri Lanka war, kennt die Wolkenmädchen aus Sigiriya. Sie gehören zum Weltkulturerbe. Es sind Fresken in luftiger Höhe von anmutigen, barbusigen jungen Frauen, die vor etwa 1000 Jahren in einer Felshöhle gemalt wurden. Sie strahlen Lebenslust und Freude am Körper aus,
und das Kuhna-Bild ist eine Hommage an den unbekannten Maler dieser Fresken. Im seinem Bild ist die Essenz der alten Malerei eingefangen und mit den dem Künstler zur Verfügung stehenden heutigen Mitteln in unsere Zeit transportiert. Wenn man die Fresken aus Abbildungen oder in natura kennt, stellt sich über den Bildtitel sofort der Bezug zum Bild von 2011 ein. Man kann das heutige Bild auch ohne das Wissen um die alten Fresken betrachten. Mit dem durch den Titel angedeuteten Hintergrund wird eine zusätzliche inhaltliche Dimension erschlossen.
In der abstrakten Kunst ist das inhaltliche Element sehr offen gehalten. Es ist gerade das Interessante an der gegenstandslosen Kunst, dass sie dem Betrachter die Freiheit läßt, sich durch die Farbpracht anzusprechen zu lassen, ohne dass einem zugleich ein Gegenstand aufgedrängt wird, der einem dann ständig vor Augen steht.

Freuen Sie sich auf das durch die Farben inszenierte FEST für die AUGEN und lassen Sie sich von den FARBEN inspirieren und in eine Hochstimmung versetzen.

Willi Kemp, Sept. 2011