Gesetzte Farbe. Malerei im Kuhnakarium

von Willi Kemp

Als ich vor vielen Jahren erstmals Bilder von Hermann-Josef Kuhna sah, haben sie mich nicht angesprochen. Ich konnte mit ihnen nichts anfangen. Es waren zwei kleine Bilder im Format von etwa 30 x 40 cm aus dem Jahr 1968, wie ich jetzt im Nachhinein festgestellt habe.

Das änderte sich, als ich Hermann-Josef Kuhna persönlich traf und in seinem Atelier Bilder aus einem Zeitraum von mehr als 35 Jahren sehen konnte. Ich wurde mit seiner Lebensgeschichte vertraut und lernte die Entwicklung seiner Kunst kennen.

Hermann Josef Kuhna wurde am 31.12.1944 geboren. Im Alter von 8 Jahren führte ihn ein Verwandter in die Welt der Fossilien ein. Es gibt Bilder, die auf diese Passion hinweisen. So ist beispielsweise im Bild "Lias" von 2003 eine Muschel formbestimmend, die in der unteren Juraformation, einer geologischen Ablagerungsschicht, gefunden wird. Er sagte einmal nicht zu Unrecht, dass solch einfache Formen manchem Bildhauer als Vorbild dienen könnten. In seinem Werk ist ein Einfluß dieser Urformen zu spüren. Aber das bildete sich erst langsam heraus.

Als Schüler am humanistischen Gymnasium in Köln hat er sich mit den Landschaften von Salomon Ruysdael und Arbeiten von van Gogh beschäftigt und sich besonders mit dem Bild „Die Brücke von Arles“ auseinandergesetzt. Während seines Studiums an der Kunstakademie Düsseldorf hat ihn die Dynamik des Strichs, die Malspur in den Bildern von van Gogh fasziniert. Es sind diese heftigen Pinselschläge, die noch die Erregung des Malers vor seinem Motiv ahnen lassen, die Kuhna in den Bann zogen. Dabei wurde ihm auch klar, dass die Farbe eine Stofflichkeit besitzt und dass es möglich sein müßte, so zu malen, dass zum Beispiel die Farbe Weiß "anfaßbar" wird.

Angeregt durch van Goghs Umgang mit der Farbe, begann Kuhna Mitte der 60er Jahre großformatige abstrakte Bilder zu malen. Daneben entstanden symbolgeladene farbige Zeichnungen und Bilder mit verschiedenen Gegenständen in surrealer Manier in einer spezifischen Farbigkeit.

Es gibt schon 1966/1967 einen Vorgriff auf seine spätere Malerei, die eine rein rhythmisch orientierte, malerische Malerei ist. Die Struktur der Farbe beginnt eine zentrale Rolle in seiner Malerei zu spielen.

Malerei definiert sich über ihre Elemente Farbe, Form und Inhalt. Wenn auch alle drei Elemente wichtig sind, so ist doch die Farbe das große Thema von Kuhnas Malerei. Er erschafft mit der Farbe eine eigene Bilderwelt, die es in der realen Welt nicht gibt. Er hat mit der Farbe seine eigene Bildsprache gefunden und kann seine Farbvisionen gestalten und sich selbst damit auf eine einmalige Weise ausdrücken.

Aus Tubenfarben mischt sich der Künstler seine Ölfarben in Whiskygläsern an. Bestimmt hundert solcher Behältnisse stehen an seinem Arbeitsplatz, die im Laufe der Zeit andere Farbmischungen aufnehmen. Es sind Farbnuancen, die er in seiner Vorstellung hat, wie andere den Geschmack einer Speise, die durch das Hinzufügen von Gewürzen eine bestimmte Note bekommen.

Farbe, das ist ein großes Mysterium. Man benötigt schon eine ungeheure Erfahrung und Kenntnis von Farben, um in der Vorstellung das Zusammenwirken von 10 und mehr verschiedenen Farbtönen präsent zu haben, dann die Farben entsprechend diesem geistigen Bild zu mischen und schließlich diese Idee im Bild zu realisieren. Man muss sich vorstellen, dass es physikalisch 7,5 Millionen Farbnuancen gibt, dass der Mensch physiologisch rund 245 Farbtöne unterscheiden und die noch einmal in 10 verschiedenen Helligkeitsstufen wahrnehmen kann, so dass man rechnerisch auf 2.450 Farbnuancen kommt und dass sich die Farben in der Nachbarschaft von anderen Farben verändern, dass sie sich ändern im Laufe des Tages bei unterschiedlichem Licht, und dass sie sich subjektiv ändern können mit unseren Stimmungen.

Ich war einmal dabei als er malte. Er hat eine präzise Vorstellung von seinem Bild, wenn er beginnt. Er hat das Bild in seiner Farbigkeit, seiner Größe, seinem Format, im Kopf. Manchmal, eigentlich selten, kann sich das geplante Bild in eine andere Richtung bewegen. Der Maler antwortet auf seine Farbe, lässt sich durch die Farbe animieren, folgt ihrer Forderung und entscheidet schließlich, ob er das Bild mit dem durch die Farbe erzwungenen Wechsel, annimmt, um es dann so zu vollenden oder ob er neu beginnt.

Ein Beispiel für ein während des Malens geändertes Bildprogramm: Kuhna malte an einem gelben Bild als in den Nachrichten von der Unterdrückung einer Bevölkerungsgruppe die Rede war, die zur Abgrenzung von einer ethnisch anderen Gruppe sich ein Mal auf die Stirn setzen musste. Kuhna hat im Bild mit dem Titel „Stigma“ diesen zunächst nicht vorgesehenen Fleck in das Bild hineingemalt und ihm dadurch seine Identität verschafft. Aber das sind die Ausnahmen. Grundsätzlich bleibt es beim Plan und der Durchführung.

Farben können auf der Palette gemischt werden und dann auf den Bildträger aufgetragen werden. Schon die Neoimpressionisten haben um 1880 mit der Möglichkeit experimentiert, kleine Farbtupfen unvermischt nebeneinander auf die Leinwand zu setzen. Es bestand die Meinung, dass bei der Mischung der Farben auf der Palette leicht ein dumpfer Farbton entstehen könne. Werden die Farben dagegen separat aufgetragen, bleiben sie in ihrer Reinheit erhalten und bei Betrachtung aus einem gewissen Abstand mischen sich die Farben im Auge zum gewünschten Farbton. Auf diese Weise strebte man ein klareres, strahlenderes, leuchtenderes Kolorit an. Kuhna sagte mir, dies sei ein Gerücht. Die Farben werden nicht brillanter, sondern milchiger.

Es ist wichtig festzuhalten, dass Kuhna nicht vom Pointillismus herkommt. Kuhna ist kein abstrakter Neo-Neoimpressionist und kein Neu- oder Jung-Pointillist. Zwar mischt auch er seine Farben nicht auf der Palette, sondern setzt, genau so wie die Pointillisten, jeden einzelnen Farbton separat auf die Leinwand.

Aber Kuhnas Malerei, und das ist der entscheidende Unterschied, ist eine strukturierende Malerei. Strukturieren heißt in diesem Zusammenhang: Bauen. Er baut seine Bilder aus Farbflecken nach einem wechselnden System auf. Ein Farbauftrag ohne systematische Ordnung würde nie zu einem künstlerisch vertretbaren Bild führen. Kunst ist Maß. Kunst ist Ordnung. Durch die Systematik im Bild bilden sich Zentren und Farbstrukturen heraus, die dem Bild erst seinen Charakter verleihen. Das System fließt. Es ist nicht rektangulär-geometrisch, sondern vegetativ bis floral aufgebaut. Das kann beispielsweise mit dem Aufbau der Panzerung eines Krokodils oder einer Eidechse verglichen werden. Auch hier verändern sich Größe und Farbe der einzelnen Panzerplatten vom Rumpf bis zum Schwanz und vom Rücken bis zum Bauch ständig, organisch fließend, fast unmerklich.

Kuhnas Bilder sind organisiert wie ein lebendiger Körper. Der Künstler hat ihnen ein System eingehaucht, das aber nicht offensichtlich ist. Wenn es ein wirres Farbpunktspiel wäre, könnte man ein solches Bild nicht ansehen, es nicht ertragen. Erst durch die Rationalität, durch diese Systematik entsteht ein Bild, entsteht Malerei. Dieses System wechselt von Bild zu Bild, ist aber immer vorhanden. Vereinfacht gesagt, ist es die ständige Wiederholung einer Abfolge von Farbpunkten innerhalb eines beispielsweise handflächengroßen Leinwandstückes. Da kann ein Schwarz im Norden, Süden, Osten und Westen dieses Feldes angelegt werden. Dann kann ein Rot folgen. Das Bild wird quasi in einem solchen System mit den Farben aufgebaut. Es ist mitnichten ein Punktieren, wie es einem gerade gefällt. Die vorhandene innere Ordnung kann man zunächst nicht erkennen. Man muss darum wissen, dann ist die Systematik zu ahnen. Natürlich wird sie nicht schematisch angewendet; da gibt es die kleinen Unregelmäßigkeiten durch die Hand, die geringfügig unterschiedlichen Pinselstriche. Der Farbauftrag ist mal mit dem vollen und einmal mit dem fast leeren Pinsel ausgeführt. Alles das gibt ein Gewebe von Farbflecken, das eine Lebendigkeit ausstrahlt, völlig unabhängig von der Farbe, lediglich hervorgerufen durch die Rhythmisierung der Fläche, durch die systematisch angeordneten Farben. Die Farbflecken können unterschiedliche Formen annehmen. Da gibt es mehr oder weniger ausgebildete Punkte, Stabformen, Dreiecke, Blatt- und Tropfenformen, die sich zum Teil überlagern und dadurch wieder eine andere Gestalt annehmen.

Was Kuhna mit dem getrennten Auftrag jeder einzelnen Farbe erstrebt und erzielt ist die Frische, die Ungebrochenheit und Leuchtkraft der Farbe. Das ist zwar ungeheuer zeitaufwendig und erfordert einen besonderen Farbsinn, um den Zusammenklang mehrerer Farbtönen bereits im voraus zu beurteilen. Er reagiert mit Farbe auf Farbe und es ist wichtig für ihn, dass das Bild eine haptische Qualität bekommt.

Betrachtet man eine Kuhna-Arbeit, dann spürt man auch etwas von der enormen Konzentration, mit der der Künstler sich mit seinem Bild beschäftigt. Er hat mir einmal erzählt, dass er für ein 80 x 100 cm großes Bild etwa 70 Arbeitsstunden benötigt. Gut, der Zeitaufwand ist für die Frage nach KUNST nicht entscheidend. Dann braucht der Künstler für diese Zeit nach Möglichkeit gleich bleibendes Licht. Wenn es dann einen langen Sonnentag gibt, dann arbeitet er wie ein Berserker und man kann ihn nicht hinter seiner Staffelei – meist hängen die in Arbeit befindlichen Bilder an der Atelierwand – hervorlocken oder er arbeitet die Nacht hindurch bei künstlichem Licht.

Welch malerischer Reichtum ausgebreitet wird und welche innovative Kraft in den Bildern steckt, wird nachvollziehbar, wenn man sich die Entwicklung der zeitgenössischen Kunst der letzten 50 Jahre vor Augen führt: wie nach dem Informel der 50iger Jahre Zero kam und dann die Colourfield-Malerei, die Pop-Art, und andere Ismen aus den USA zu uns herübergekommen sind, bis das Magisch- und Schamanische bei Joseph Beuys und die gegenständliche Malerei bei den Neuen Wilden wieder auftrat. Diese malerische Malerei eines Hermann-Josef Kuhna ist in dieser Form neu in der Welt der Malerei. Es ist eine reine Farbmalerei, die selten in einer solchen Konsequenz verwirklicht worden ist. Die Farbe ist ein überaus schwieriges Feld. Die Reihe der Meister einer reinen Farbmalerei ist daher nur kurz. Ohne auf Vollständigkeit Rücksicht zu nehmen, erwähne ich Velazquez, Turner, Claude Monet, Henry Matisse, Barnett Newman, Mark Rothko, Gotthard Graubner und Kuno Gonschior.

Bei Kuhna geht es um die pure Malerei mit assoziativen Rückverbindungen und er hat für sich, und das ist schon einmalig in der Kunst, durch das ganz bewusste Setzen mehrerer von ihm gemischten Farben, einen Farbraum entwickelt, der, wie in der Musik, unser Empfinden anspricht. Das kann sich zu einem Farbrausch steigern und aufgrund des Farbklimas oder auch aufgrund der Bildtitel bestimmte Assoziationen in Gang setzen. Farben können Erinnerungen evozieren, Farbe kann Stimmungen, Gefühle wecken, die vielleicht völlig anders sind, als diejenigen, an die der Künstler gedacht hat, als er dieses Bild malte. Das ist durchaus legitim. Ich darf noch einmal die Musik zum Vergleich heranziehen. Wenn ich im Konzertsaal sitze und Musik höre, kann ich abschweifen, ich höre die Musik ganz intensiv und bin doch mit meinen Gedanken in einer anderen Welt. Genau das kann einem vor den Bildern von Hermann Josef Kuhna auch passieren. Aber die Bilder sind mitnichten ein Vehikel für die Öffnung eigener Seinsweisen, sondern sie sind in erster Linie Malerei, die mit Farbe und Form, mit Ordnung und Zufall eine Fläche strukturiert und gestaltet.

Im abstrakten Bereich geht es um die Rhythmisierung des Farbraums. Der Farbraum entsteht dadurch, dass bestimmte Farben zurücktreten und andere nach vorn kommen. Ein Beispiel aus dem Alltagsleben ist, dass Grün vorn und Blau hinten erscheint, was erklärt wird durch die Assoziation von Grün mit Wiese und Blau mit Himmel. In Wirklichkeit ist das viel komplizierter. Josef Albers hat ein umfangreiches Buch über die „Interaction of Color“ verfasst.

Auswahl und Setzung der Farbe bewirken, dass es im Bild einen farbigen Hintergrund, ein Grundklima, gibt und das sich darauf andere Farbelemente abheben. Dadurch entsteht eine räumliche Tiefe. Im Raum steht eine Farbe optisch nicht neben, sondern vor oder hinter einer anderen Farbe. In „white and other colours“ schwebt das Weiß vor einem blau-grünen Bildgrund und erzeugt so eine räumliche Wirkung.

Tatsächlich haben wir es mit einem flachen Bild zu tun. Wenn wir aber durch die Farbbehandlung des Künstlers wahrnehmen, dass sich die Farben in einem Raum befinden, wenn wir also mindestens zwei Raumschichten erkennen, eine vorn und eine hinten, die jede für sich autonom ist, dann sind auch zwei unterschiedliche Bewegungen möglich, nämlich ein bestimmter Rhythmus auf der vorderen und ein anderes Rhythmus auf der hinteren Ebene. Durch unterschiedliche, gegebenenfalls gegensätzliche Rhythmen, auf der vorderen und hinteren Ebene, wird das Bild dynamisiert. Es wirkt nicht starr und festgezurrt, sondern äußerst bewegt, lebendig und räumlich.

Es kommt nicht darauf an, diese Malerei in ihrer Technik zu entschlüsseln. Das Bild strahlt etwas aus, und diese Ausstrahlung ändert sich mit der eigenen Stimmung, aber sie ändert sich auch mit dem unterschiedlichen Licht im Tagesverlauf. Dieses nicht ein-für-alle-mal Festgelegte ist das Großartige an der abstrakten Kunst im allgemeinen. Ich muss nicht immer wieder die Kuh auf der Wiese ansehen, sondern ich bin frei in meiner Gedankenwelt. Ein abstraktes Farbgeschehen auf der Leinwand kann mich zu völlig anderen Überlegungen anregen oder zu fernen Welten forttragen, weil sich das Motiv nicht in den Vordergrund schiebt.

Kandinsky hat in seinem Buch „Über das Geistige in der Kunst“ den Unterschied zwischen Malerei und Musik herausgestellt und dabei darauf hingewiesen, dass die Musik in der Zeitabfolge wahrgenommen wird und, dass im Gegensatz dazu, in der Malerei uns alles unmittelbar und zeitgleich vor Augen steht. In der ägyptischen Malerei kann man noch einzelne Szenen auf verschiedenen Bildebenen erkennen. Bis ins 19. Jahrhundert konnte man die Bilder mit den Augen abtasten. Bei Renoir zum Beispiel geht eine Frau mit einem bunten Schirm durch blühende Wiesen. Selbst bei den Informellen ist die Bewegung der explodierenden Formen zu verfolgen und bei Zero-Arbeiten das Kreisen des Lichts beobachten.

Kuhnas Bilder sind nicht zeilenförmig lesbar, sie kommen wie ein Farbschwall auf einen zu. Man muss sich diesen Bildern stellen. Ab einer gewissen Größe können sie einen überwältigen. In ihrer spontanen Präsenz sind sie einer Klangwolke vergleichbar, wie sie Ligeti komponiert hat. Dieser Wolkenvergleich ist insoweit zutreffend, als der Betrachter in einen Farbraum eintreten kann, von dem er umfangen wird. Andererseits ist der Vergleich auch wieder falsch, weil Nebulöses, Wolkenhaftes in Kuhnas Malerei nicht vorkommt. Dafür ist Kuhnas Malerei zu präzise.

Neben der Farbe ist die Form anzusprechen, wobei eine eindeutige Trennung zwischen Farbe und Form nicht möglich ist, weil mit der Farbsetzung zugleich eine Form geschaffen wird. Diese Unterscheidung zwischen Farbe und Form soll nur dazu dienen, dasjenige herauszustellen, worauf das Augenmerk gerichtet ist: auf den Farb- oder den Form-Aspekt. So verstanden tritt Form in Kuhnas Bildern auf zweierlei Weise in Erscheinung: einmal im kleinteiligen Formelement, aus dem sich jedes Bild aufbaut und zum anderen in der großen Form, die das Bild beherrscht.

Form muß nicht ausschließlich die abgezirkelte Linie sein, die eine Fläche von einer anderen trennt. Üblicherweise ist die Form eine mehr oder weniger deutliche Abgrenzung einer Fläche. Das gibt es auch bei Kuhna, wenn Zeichen seine Malleinwand beleben. Das können abstrakte Farbelemente oder Abbreviaturen realer Gegenstände sein. Fossile Knochen tauchen im „Kuhnakarium“ auf, Steinformen im „Steinbruch“ oder im „Waschsalon“ werden sichel- und tropfenförmige Formelemente in einer kreisenden Form angeordnet, wodurch sich ein Drehmoment ergibt und der Eindruck von Bewegung entsteht.

Die andere Form, die allein aus der Farbe erwächst, ist der Farbrhythmus, der fast unmerklich die Fläche belebt, der sie pulsiert, der an- und abschwillt. Die Farbe ist bei Kuhna gestaltet durch einen Rhythmus, durch ein Zusammenziehen an einer Stelle und ein sich Ausdehnen an einer anderen Stelle. Das kann atmen. Da gibt es Bilder, in denen sich Farbpartikel wie magnetisierte Eisenspäne verhalten. Da gibt es ein Auf- und Abwogen, da sind Verdichtungen zu sehen und Entspannung. Diese formalen Manifestationen geschehen mit den Mitteln und durch das Medium Farbe. Diese rhythmischen Formen verlaufen weich und kaum merklich. Sie bilden keine scharfe Kontur.

Diese einfach aussehenden Strukturen haben etwas zu tun mit seiner Beschäftigung mit Fossilien. Bei den Versteinerungen sind vergangene Strukturen des Lebens komprimiert im Stein; ehemalige Lebendigkeit ist konserviert in einer einfachen Struktur. Die Vielfältigkeit eines früheren Lebens ist zusammengepresst in eine Form, die weitgehend nur noch in Umrissen vorhanden ist, die vereinfacht und trotzdem wesentlich ist, weil das Wichtige erhalten, sichtbar bleibt und nur das Zufällige und Beiläufige weggefallen ist.

Ich kann mir vorstellen, dass dieses Denken in Elementarformen auch Kuhnas Malerei beeinflusst hat, in ihrer, auf den ersten Blick, formalen Einfachheit, in ihrer Reduktion auf das Wesentliche. Die große, einfache Form in seinen Bildern, die sich aus einer Fülle von Ur- oder Grundformen aufbaut, spiegelt auf einer abstrakten Ebene die Essenz von komplexem Leben.

So entsteht bei Kuhna ein schwingender Farbraum, der für mich ab einer bestimmten Größe der Bilder einsetzt. Dann entfaltet sich durch die Farbe ein, Kandinsky würde sagen, "Vibrieren der Seele". Da wird etwas angeschlagen, das innerlich klingt und das sich einer Beschreibung entzieht. Ich darf es wieder mit einem Beispiel aus der Musik umschreiben: durch die E-Musik werden wir angeregt. Es wird etwas in uns zum Klingen gebracht. Ein Hochgefühl kann sich einstellen. Wir können in einen Schwebezustand versetzt werden.

Zum Schluss muss noch das inhaltliche Element in den Bildern von Kuhna angesprochen werden.

Die kürzlich verstorbene amerikanische Kunstkritikerin und Schriftstellerin Susan Sontag hat einmal gesagt, dass in der abstrakten Kunst der Inhalt die Form und die Farbe seien. Das ist richtig, weil sich die Abstraktion auf die eigentlichen Mittel der Malerei bezieht und somit Form und Farbe Ausdrucksträger des abstrakten Bildes sind. Einen erzählerischen Inhalt gibt es in dieser Kunst nicht mehr.

Dass das Bild trotzdem kein bloßes Form- und Farbspiel wird, hängt mit der Gestaltungskraft des Künstlers zusammen, der seinem Bild und seinem Werk eine bestimmte inhaltliche Bedeutung verschaffen muss, die nicht im Narrativen liegt. Das ist oft eine übergeordnete Idee, die das ganze Werk durchzieht. Von da her erlangt dann jedes Bild seinen Rang und seine Bedeutung und damit auch seinen Inhalt im weiteren Sinne. Hieraus erwächst dann auch die Einmaligkeit und Konsequenz eines Werks, weit entfernt von jeder Beliebigkeit.

Kuhna beschränkt sich nicht auf Form und Farbe. Seine Bilder sind immer inhaltlich bedeutsam. Das heißt aber nicht, dass Kuhna mit seinem Bild eine Geschichte erzählen will. Inhalt ist zu verstehen als der Niederschlag des gelebten Lebens auf dem Bild und die aktive Reaktion auf unsere Umwelt im weitesten Sinne, einschließlich der jeweiligen politischen Situation, auch wenn der Betrachter dies nicht immer erkennt.

Ob der Künstler das offen legen will, ist seine Sache. Nicht immer ist er dazu bereit. Er hat sich mit Mimikry, der Tarnung in der Pflanzen- und Tierwelt beschäftigt und daraus gelernt, wie man im Bild etwas verstecken kann. Er sagt: wenn der literarische Aspekt gestalterisch verschlüsselt ist und daher nicht offen zu Tage tritt, bedeutet dies noch lange nicht die Abwesenheit von Inhalt.

Dieses Nachverfolgen des bildnerischen Auslösers ist letztendlich für die Kunst auch nicht entscheidend. Das verarbeitete Erlebnis ist Ausgangspunkt für sein Bild und nur als Auslöser zu verstehen, denn dann erfolgt das Arbeiten nach bildimmanenten Gesetzen.

Wenn man sich seine Bildtitel ansieht, ist in einigen Fällen zu erkennen, was ihn bewogen hat, zum Pinsel zu greifen: Da wird Landschaftliches thematisiert in Bildern wie „Horizont“, „Wiesenböschung“, „Krähenland“, „Penang“, „Eifel“ oder „Von der Donaubrücke aus gesehen“, eine Stadtsilhouette taucht auf im Bild „downtown“, die Bewegung wird herausgestellt in Bildern wie „Lapin agil“, "Window“, „Schulweg“ „Waschsalon“ „Interaktion“ der „Strömung“ oder „Intercity“. Die Naturbeobachtung und seine Liebe zur Paläontologie kommt zum Ausdruck in Bildern mit Titeln wie „Kölner Geologe“, „Steinbruch“, "fossil dragon“, "Kuhnakarium“ und "Lias". Quirliges Leben in „Jakarta“, Stimmung in „Heure bleu“ oder „Good morning Malaysia“ und Textur in „Silk“. In der "Großen Vietnam-Tafel" wird die Helligkeit, das Sonnendurchflutete der Landschaft mit der Farbe Gelb zum Ausdruck gebracht. Reines Gelb, sagte Goethe in seiner Farbenlehre, steht dem Licht am nächsten. Die hellblauen über das Bild verstreuten Flecken erinnern an die Spiegelungen auf der Wasseroberfläche, an diesen Lichteffekt auf dem Wasser. Dieses Flirren hat etwas von Quecksilber, und dieses Unfassbare wird durch die gleiche Helligkeit von Gelb und Hellblau erzielt, die vom Auge schwer unterscheidbar ist, weil ein Helldunkel-Kontrast fehlt. Und die leicht gerundeten Dreiecke stehen in Zusammenhang mit den großgewachsenen, schlanken Frauen, die in dünnen, fast durchsichtigen Kleidern aus Seide, mit einem wiegenden Abrollschritt über den Sandstrand laufen, die Bambusstange auf den Schultern, die Getränke, Zigaretten oder Obst verkaufen wollen. Der Rhythmus im Bild, der durch solche Farb- und Formelemente erzeugt wird, evoziert die sanften, immer gleichen Bewegungen des Wassers am Meeresstrand. Das sind keine Interpretationen zu diesem Bild von mir, sondern Äußerungen des Künstlers, als wir über dieses Bild sprachen.

Erstaunlich ist, dass Kuhna mit seiner Farbmalerei auch in der Lage ist, politisch brisante Bilder zu malen. Ihm gelingt das, indem er in das Farbklima, das die Grundstimmung andeutet, entsprechende, lesbare Zeichen einbettet, die in Verbindung mit dem durch die Farbe erzeugten Klima eine ganz bestimmte Aussage transportieren. Ich denke an das Bild „Deutschland fertig“, das nach den Ausschreitungen in Hoyerswerda entstand, als Ausländerwohnungen brannten oder an „politics in arts“, das durch ein Raster an eingezäunte Bereiche denken läßt und an den „Großen Platz“, dem Platz des himmlischen Friedens in Peking, auf dem 1991 Demonstranten erschossen wurden, an die im Bild mit roten Lack-Flecken erinnert wird, die das Licht besonders stark reflektieren und so immer frisch aussehen und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die Struktur des Platzes wird durch die schwarzen Striche nachgebildet und die grünen Flecken sind ein Zeichen der Hoffnung. Da wird deutlich, dass die Farbe auch in ihrer symbolischen Bedeutung verwendet wird.

Genau so wichtig ist für ihn die Vermittlung von Atmosphäre, von Wärme, von Kühle, von Bewegung und sprudelnder Kraft. Da ist eine Ergriffenheit vor der Schönheit und Würde des Lebens zu spüren, die wiederum etwas zu tun hat mit der Beschäftigung mit der Paläontologie, die das Wissen um die Vergänglichkeit des Seins fördert. Sie lassen das Empfinden spüren, welches man hat, wenn man einen Stein anfasst, wenn man durch dichtes Laub geht. Da gibt es vielfältige Erlebnisse, Erinnerungen, Sehereignissen, die gar nicht mehr im einzelnen zu identifizieren sind, die sich dann als Summe in einem Bild als ein Grundklang von Farbe und Form niederschlagen.

Alle diese Bilder, die in dieser Ausstellung hängen, sind in langer Arbeit entstanden. Es ist eine hochkomplexe Malerei aus im Grunde einfachen Grundformen und einer Fülle von Farben. Jedes einzelne Bild vermittelt für sich in seinem Farbklang und seiner Formenwelt eine ganz bestimmte Stimmung und Empfindung. Wollte man dem Rechnung tragen, müssten einzelne Räume geschaffen werden und jeder der hier Anwesenden sollte dann allein dem Bild gegenübertreten. Das wäre eine ideale Ausstellungssituation, in der es zu einem Zwiegespräch zwischen Bild und Betrachter kommen kann. Da die Bilder keine Geschichten erzählen, nichts außer ihrer eigenen Sensibilität preisgeben, muß der Betrachter sich auf sie einlassen. Er sollte die Bilder auf sich wirken lassen, so wie er im Konzertsaal die Musik aufnimmt.

Eine Ausstellungseröffnung mit vielen Menschen ist denkbar ungeeignet, eine solche Zwiesprache aufkommen zu lassen. Sie kann nur den Zweck haben, sich über das Schaffen des Künstlers zu informieren. Mit ihren unterschiedlichen Farbklängen und ihrer unterschiedlichen Ausstrahlung hängen die Bilder hier nebeneinander. Das kann zu einem Wechselbad der Gefühle werden. Man sollte versuchen, jedem Bild einzeln gegenüberzutreten, um ihm gerecht zu werden. Ich wünsche Ihnen dazu die erforderliche Konzentration.

Willi Kemp, Juni/Dezember 2005